Österreichs derzeit gültiges Erbrecht entstammt heute noch der Urfassung des ABGB und hat seine Wurzeln daher im Jahr 1811. Nicht nur der Inhalt, sondern auch die Sprache des Gesetzes ist daher in die Jahre gekommen. Dies und die Tatsache, dass 2012 die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) in Kraft getreten ist, war Anlass für den Gesetzgeber, das gesamte Erbrecht neu zu kodifizieren. Es wurden daher nicht – wie bei Gesetzesnovellen meist üblich – nur einzelne Bestimmungen des Gesetzes geändert, es wurde ein ganzes Teilstück des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) neu geschrieben!

Wer ist nicht betroffen?
Die neuen Regelungen sind bei Todesfällen ab dem 1. Jänner 2017 anzuwenden. Nicht betroffen sind daher nur diejenigen, die vor dem 1.1.2017 versterben. Es ist daher praktisch jeder betroffen!

Die wesentlichen Neuerungen:

– Das Pflegevermächtnis:
Pflegeleistungen durch nahe Angehörige werden erstmals automatisch im Gesetz berücksichtigt. Der pflegenden Person gebührt künftig ein gesetzliches Vermächtnis in Form einer Geldleistung aus dem Nachlass, wenn unentgeltlich Pflegeleistungen am Verstorbenen in den letzten drei Jahren vor dessen Tod mindestens sechs Monate in nicht bloß geringfügigem Ausmaß (in der Regel durchschnittlich mehr als 20 Stunden im Monat) erbracht wurden.

Das Vermächtnis gebührt zusätzlich zum Pflichtteil und auch zusätzlich zu anderen Leistungen aus dem Nachlass (Erbteil, etc.); Letzteres aber nur dann, wenn der Erblasser nichts anderes angeordnet hat.

Die Höhe ist im Gesetz nicht geregelt. Bisher hat sich die Judikatur meist an den Kosten einer professionellen Pflegekraft (Bruttolohnkosten) orientiert. Die erläuternden Bemerkungen zum Gesetz weisen in eine andere Richtung und gehen von tieferen Sätzen aus.

Beispiel 1: Eine Witwe verstirbt ohne Testament und hinterlässt drei Kinder, wovon eines (die Tochter) sie die letzten zwei Jahre vor dem Tod zu Hause liebevoll gepflegt hat. Der Pflegeaufwand lag bei etwa 15 Stunden pro Woche. Die Witwe hinterlässt ein Einfamilienhaus und ein Sparbuch mit 90.000,00 Euro. Jedem Kind steht grundsätzlich ein Drittel des Nachlasses zu. Die Tochter kann als „Pflegevermächtnis“ ihren Aufwand geltend machen (2 Jahre zu 52 Wochen a 15 Stunden zu z.B. 20 Euro, das sind EUR 31.200,00). Sie muss sich diesen Betrag nicht auf ihren Erbteil anrechnen lassen.

– Das außerordentliches Erbrecht des Lebensgefährten:
Nach derzeitiger Rechtslage werden Lebensgefährtinnen/Lebensgefährten erbrechtlich als Fremde betrachtet. Sie haben somit keinerlei Erbansprüche, auch keine Pflichtteilsansprüche, können aber in einem Testament bedacht werden.

Ab 1. Jänner 2017 kommt Lebensgefährtinnen/Lebensgefährten unter bestimmten Voraussetzungen ein außerordentliches Erbrecht zu. Dieses wird aber nur in Ausnahmefällen greifen: Der Lebensgefährte kommt nur zum Zug, wenn keine testamentarischen und auch keine gesetzlichen Erben vorhanden sind. Da zu den gesetzlichen Erben sogar noch die Großeltern und die Urgroßeltern des Verstorbenen gehören (!), die Großeltern sogar mit allen ihren Nachkommen, erbt auch ein Großcousin des Verstorbenen noch vor dem Lebensgefährten.

Voraussetzung für das außerordentliche Erbrecht des Lebensgefährten ist zudem dass er mit dem Verstorbenen zumindest in den letzten drei Jahren im gemeinsamen Haushalt gelebt hat und dass der Verstorbene im Zeitpunkt des Todes weder verheiratet war noch in einer eingetragenen Partnerschaft gelebt hat.

Zudem hat der Lebensgefährte ab 1.1.2017 auch ein gesetzliches Voraus-vermächtnis: Er darf weiter in der Wohnung des Verstorbenen wohnen und den bisher gemeinsam genutzten Hausrat nützen, aber nur ein Jahr lang!

Beispiel 2: Eine Frau hinterlässt ihren Lebensgefährten, aber kein Testament. Sie hat keine Kinder. Die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern sind vorverstorben. Die Urgroßeltern und die Großeltern hatten jeweils nur ein Kind (den Großvater bzw. den Vater der Verstorbenen), die Verstorbene ist ebenfalls Einzelkind. Stirbt sie vor dem 1.1.2017, fällt ihr gesamtes Vermögen an den Bund (Heimfallsrecht des Staates). Stirbt sie erst 2017, dann fällt ihr Vermögen dem Lebensgefährten zu.

– Automatische Aufhebung eines Testamentes bei Auflösung der Lebensgemeinschaft:
Derzeit muss eine letztwillige Verfügung, z.B. ein Testament, das zugunsten des Ehepartners/Lebensgefährten errichtet wurde, ausdrücklich widerrufen werden, damit er nach Auflösung der Lebensgemeinschaft im Todesfall nicht erbt.

Ab 1.1.2017 gilt die Vermutung eines stillschweigenden Widerrufs solcher letztwilliger Verfügungen: Künftig werden Testamente zugunsten des früheren Ehegatten, des eingetragenen Partners oder des Lebensgefährten automatisch aufgehoben, wenn die Ehe, eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft aufgelöst wird. Gleiches gilt bei Aufhebung der Abstammung oder Adoption. Wenn dies nicht gewollt ist, muss es letztwillig angeordnet werden.

Beispiel 3: Ein Mann lebt in Lebensgemeinschaft mit einer Frau und hat mit ihr zusammen ein 8-jähriges Kind. Der Mann wird schwer krank, die Lebensgemeinschaft leidet darunter und droht zu zerbrechen. In Kenntnis dessen, dass die Lebensgemeinschaft kurz vor dem Ende steht, errichtet er ein Testament, in dem er sein Kind zum Alleinerben einsetzt. Für seine Lebensgefährtin sieht die Verfügung ein Legat von 100.000 EUR vor, damit die Frau im Falle des Todes des Mannes einige Jahre zu Hause bleiben und für das Kind sorgen kann.

Der Mann sollte sein Testament dringend dahin ergänzen, dass das Legat auch nach Ende der Lebensgemeinschaft aufrecht bleibt. Sonst ist das Ziel – die Sicherung der Betreuung des Kindes –  nicht erreicht.

Dramatische Änderung im Pflichtteilsrecht
Derzeit sind neben dem Ehegatten pflichtteilsberechtigt:
– zunächst die Nachkommen
– falls keine Nachkommen vorhanden sind die Eltern, sofern diese verstorben sind die Geschwister, falls diese nicht vorhanden oder verstorben sind die Großeltern des Verstorbenen. Seit 2004 kommen daher neben dem Ehegatten des Verstorbenen dessen Nichten und Neffen/Onkeln und Tanten samt Nachkommen nicht mehr zum Zug.

Ab 1. Jänner 2017 werden nur noch die Nachkommen und der Ehegatte oder der eingetragene Partner pflichtteilsberechtigt sein. Als Pflichtteil steht ihnen – wie schon bisher – die Hälfte der gesetzlichen Erbquote zu. Die Pflichtteilsberechtigung der Eltern und weiterer Vorfahren sowie aller Seitenverwandten wird durch die Erbrechtsreform beseitigt. Ist ein Elternteil vorverstorben, dann fällt auch sein Teil dem Ehegatten/eingetragenen Partner zu.

Extreme Folgen bei Patchwork-Situationen sind möglich

Beispiel 4: Ein 55-jähriger Mann ist ohne eigene Nachkommen und mit einer 10 Jahre jüngeren Frau verheiratet, die zwei Kinder in die Ehe mit eingebracht hat, welche aus ihrer ersten Ehe stammen. Der Mann hat ein großes Vermögen von seinen Eltern geerbt, die beide bereits vorverstorben sind. Stirbt der Mann, fällt sein gesamtes Vermögen an seine Frau, die es im Todesfalle an ihre Kinder weitergibt, mit denen der Verstorbene gar nicht verwandt ist! Das gesamte Vermögen wandert in den Stamm der Frau und der (fremden) Kinder.

Neue Möglichkeit: Pflichtteilsstundung
Nach momentaner Rechtslage wird der Pflichtteil sofort mit dem Tod des Erblassers fällig. Das kann sehr problematisch sein, vor allem, wenn große Vermögen (z.B. Unternehmen) vererbt werden. Ab 1. Jänner 2017 kann ein Geldpflichtteil frühestens ein Jahr nach dem Tod von den Berechtigten eingefordert werden. Zudem kann auf Anordnung des Verstorbenen (z.B. im Testament) oder auf Verlangen des belasteten Erben der Pflichtteil durch das Gericht für die Dauer von fünf Jahren gestundet werden. In besonderen Fällen kann der Zeitraum durch das Gericht auf maximal zehn Jahre verlängert werden.

Vorsicht Zinsfalle: Der Pflichtteil wird auch nach der neuen Rechtslage mit dem Todestag fällig, er kann nur nicht eingefordert werden. Er ist aber ab dem Todestag mit 4% pro Jahr zu verzinsen. Bei der derzeitigen Zinslandschaft also eine teure Angelegenheit!

Erweiterung der Enterbungsgründe
Derzeit ist eine Enterbung nur sehr eingeschränkt möglich, z.B. wenn der Pflichtteilsberechtigte den Verstorbenen zu Lebzeiten im Notstand hilflos gelassen hat oder ihm gegenüber vorsätzlich eine gerichtlich strafbare Handlung mit mehr als einjähriger Strafdrohung begangen hat.

Ab 1. Jänner 2017 werden auch (mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte) Straftaten gegen nahe Angehörige der Verstorbenen/des Verstorbenen sowie grobe Verletzungen der Pflichten aus dem Eltern-Kind-Verhältnis als Enterbungsgründe gelten.

Neue Formvorschriften für letztwillige Verfügungen
Das eigenhändig geschriebene und unterschriebene Testament gibt es auch nach dem 1.1.2017 weiterhin. Beim „fremdhändigen“ (also meistens maschinschriftlichen) Testament müssen neue zusätzliche Formvorschriften eingehalten werden.

– Die Identität der Zeugen (Name, Geburtsdatum, Adresse) muss im Testament enthalten sein
– Der „Zeugenzusatz“ muss eigenhändig geschrieben sein
– Die Verfügung muss einen handschriftlichen Zusatz des Verfügenden enthalten, das die Urkunde seinen letzten Willen enthält
– Zeugnisunfähig sind z.B. auch Dienstnehmer oder Bevollmächtigte bedachter Personen.

Beispiel 5: Ein Vater mit einem Sohn und einer Tochter möchte sein Testament errichten und darin seine Kinder und seine Lebensgefährtin bedenken. Er fragt seine Lebensgefährtin, die eine Consulting-Firma besitzt, ob sie nicht jemanden kennt, der ihm so etwas vorbereiten kann. Die Lebensgefährtin hat einen Juristen in der Firma, den sie bittet, einen Testamentsentwurf zu errichten. Der Jurist, der sich ja auskennt, fungiert dann auch gleich als Testamentszeuge zusammen mit zwei Bekannten von ihm. Das Testament ist ungültig, weil ein Zeuge (der Jurist) Angestellter einer Bedachten (der Lebensgefährtin) war. Es tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Die Lebensgefährtin geht leer aus und muss ein Jahr nach dem Tod des Erblassers auch das bisher von ihr bewohnte Haus des Verstorbenen verlassen.

Pflichtteilsminderung neu
Bereits bisher war es dem Verfügenden möglich, den Pflichtteil von Verwandten um die Hälfte zu mindern, wenn es „zu keinem Zeitpunkt“ ein Verhältnis zwischen den beiden gegeben hat, wie es zwischen solchen Verwandten üblich ist.

Neu ist ab 1.1.2017, dass es auch genügt, wenn „über einen längeren Zeitraum vor dem Tod des Verfügenden“ ein solcher Kontakt nicht bestand. Neu ist auch, dass auch Ehegatten bei Erfüllung dieser Bedingungen auf den halben Pflichtteil gesetzt werden können (z.B. langes Getrenntleben ohne Scheidung). Neu ist auch, dass die Pflichtteilsminderung auch stillschweigend (also durch bloßes Übergehen im Testament) angeordnet werden kann.

Völlig neu: Die Anrechnung von Vorempfängen auf den Pflichtteil
In diesem Bereich blieb buchstäblich kein Stein auf dem anderen. Der Gesetzgeber hat die gesamte Anrechnungsproblematik neu geregelt. Die Probleme sind sehr komplex und im Umfang dieser Broschüre daher nur eingeschränkt darstellbar.

– Jede unentgeltliche Leistung (!) die der Verstorbene zu Lebzeiten (gegenüber Pflichtteilsberechtigten oder Dritten) erbracht hat, gilt als anrechenbare Schenkung.
– Die unentgeltliche Leistung wird (auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten) rechnerisch dem Nachlass hinzu addiert und davon der (erhöhte) Pflichtteil berechnet. Ist der „Beschenkte“ selbst pflichtteilsberechtigt, dann ist der Wert der Schenkung daran anschließend von seinem Pflichtteil anzuziehen.
– Abfindungen für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht gelten als anzurechnender Vorempfang.
– Erhebliche Unterschiede bei der Anrechnung von Schenkungen an pflichtteilsberechtigte und an nicht pflichtteilsberechtigte Personen.
– Neuregelung der „anrechnungsfreien Schenkung“
– Neuregelung: Der Erblasser kann die Anrechnung von Vorempfängen testamentarisch erlassen!
– Neuregelung der Bewertung von Vorempfängen (Verbraucherpreisindex!)

Beispiel 6: Der letztwillig Verfügende hinterlässt zwei Söhne. Ein Sohn hat zunächst unter Mithilfe des Vaters ein Einfamilienhaus errichtet, ist dann aber nach Norwegen ausgewandert und hat dort in der Ölindustrie ein Millionenvermögen erwirtschaftet. Ein Jahr vor dem Tod schenkt der Vater dem in Österreich gebliebenen Sohn seine Eigentumswohnung (350.000 EUR Wert) und er hinterlässt ihm  testamentarisch sein restliches gesamtes Vermögen (50.000 Euro in bar). Den zweiten Sohn erwähnt er nicht im Testament. Der „schwedische“ Sohn beansprucht als Pflichtteil ein Viertel des Gesamtvermögens des Vaters (Wohnung plus Barvermögen, also 100.000 EUR). Der in Österreich lebende Sohn argumentiert, es müsse angerechnet werden, dass der Vater etwa 2000 Stunden beim Einfamilienwohnhausbau des „schwedischen“ Sohnes unentgeltlich mit gearbeitet habe, was einen Wert von 40.000 EUR darstelle.

Beispiel 7: Ein Vater hat seinem Sohn im Jahre 1980 ein Baugrundstück in Altenstadt mit 1500 m2 geschenkt. Damals lagen die Grundstückspreise bei etwa ATS 400 pro Quadratmeter (ca. 29 EUR). Der verwitwete Vater verstirbt 2017 und hinterlässt seiner Tochter 35.000 EUR in bar. Diese hat das Gefühl, in ihrem Pflichtteil verkürzt zu sein, weil das Grundstück des Bruders heute etwa 400 EUR/m2 (also 600.000 EUR) wert ist. Der VPI hatte im Jahre 1980 einen Wert von 120,5 und liegt heute bei ca. 290.  Rechnet man den damaligen Grundstückswert mit dem VPI hoch, so läge der Quadratmeterpreis bei ca. EUR 70 und der Gesamtwert des Grundstückes bei ca. 105.000,00. Die Tochter hat daher keinen Ausgleichsanspruch mehr. (35 TS+105 TS= 140 TS; ein Viertel davon sind 35.000 EUR, die sie schon erhalten hat).

Fazit
Die Neuregelungen des Gesetzgebers führen in vielen Fällen zu nicht gewünschten Ergebnissen und enthalten „Fallstricke“, über die man als letztwillig Verfügender leicht stolpern kann. Gerade die Neuregelung der „unbeschränkten Anrechnung von Vorempfängen“ birgt familiär enormen Sprengstoff. In den meisten Fällen können diese Probleme bewältigt werden, indem eine sorgfältig ausgearbeitete letztwillige Verfügung errichtet oder die bestehende letztwillige Verfügung an die neue Rechtslage angepasst wird.

14. Juli 2016, Autor: RA Dr. Ernst Dejaco, Exec. MBL-HSG, tusch.flatz.dejaco.rechtsanwälte gmbh, www.tfd.at