Heimo Scheuch – seit 2009 CEO – im Gespräch mit Paul Christian Jezek über Märkte, Produkte, Konzernstrategien, also: über die ersten 200 Jahre Wienerberger.

„Wir wollen angesehenster Produzent und bevorzugter Arbeitgeber in unseren Märkten sein. Mit nachhaltigen Baustoff- und Infrastrukturlösungen verbessern wir die Lebensqualität“, Heim Scheuch, Vorstandsvorsitzender Wienerberger-Gruppe (Foto: Wienerberger)

Herr Scheuch, bis vor einiger Zeit hat der Konzern noch mit der 3-Milliarden-€-Umsatzschwelle „gerungen“ …

Heimo Scheuch: Diese haben wir inzwischen deutlich überschritten. Im vergangenen Jahr haben wir mit 3,3 Milliarden € in puncto Umsatz ein Rekordergebnis in der 200jährigen Unternehmensgeschichte erreicht. Darüber hinaus führen wir den Konzern in eine noch breitere Zukunft, d.h. wir entwickeln Wienerberger zu einem Systemanbieter über innovative Produkte und Lösungen hinaus.

Was bedeutet das im Einzelnen?

Wir offerieren tatsächlich Systeme – damit meine ich beispielsweise Wand-Fassade–Dach– und im Infrastrukturbereich Komplettlösungen, also über die Rohre hinaus auch die ganze Technik dazu, wie etwa Sensoren, etc.

Begonnen hat Wienerberger vor zwei Jahrhunderten aber sehr wohl mit Ziegeln – was hat sich denn da geändert?

Damals ging es darum, Baustoffe für stark wachsende Städte zur Verfügung zu stellen – selbstverständlich in erster Linie für das Wien der Monarchie. Und man dachte in diesem Zeitraum in Ziegel-Stückzahlen, um Gebäude zu errichten.
Heute denkt man an und in Gesamtlösungen – zum Beispiel an ein energieautarkes Haus. Das führt dazu, dass wir eben nicht „nur“ die Produkte zur Verfügung stellen, sondern auch die Gesamtlösung. D.h. wir planen und entwickeln das Gebäude schon als solches und stellen es dem Kunden zur Verfügung.

Auf dem Cover einer Wienerberger-Publikation 2015 war das damals modernste Bürogebäude der Welt zu sehen …

Genau! Dieses höchst interessante und marktfähige Konzept haben wir gemeinsam mit dem Architekten Prof. Dietmar Eberle in Vorarlberg entwickelt. Mittlerweile wurden bereits mehrere dieser Häuser in Europa realisiert, in denen wir ohne zusätzliche Haustechnik und Energie auskommen, d.h. dem jeweiligen Kunden tatsächlich eine Gesamtlösung geben. Wienerberger hat somit den Ziegel zum Hochtechnologieprodukt geformt und sich zum Anbieter innovativer Baustoff- und Infrastrukturlösungen entwickelt.

Wo überall können Sie nun mit diesem Konzept agieren?

Wir sind an rund 200 Standorten in 30 Ländern aktiv. Dabei haben wir uns sehr stark auf Tiefe, nicht auf Breite konzentriert. Die Wienerberger-Strategie geht in Richtung Marktdurchdringung, d.h. wir möchten eine stärkere Marktposition in weniger Ländern haben, als in vielen Ländern ein bisschen aktiv zu sein.

Warum?

Nur so können wir die Veränderungen beim Bauen, die Erneuerung und unsere Innovationen stärker verankern: Wenn wir starke Marktanteile haben.

Wie haben Sie das konkret realisiert?

Wir haben einige Märkte aufgegeben, die nicht mehr ausbaufähig ausgesehen haben. Darüber hinaus haben wir teilweise Aktivitäten verkauft. Wir werden das auch in Zukunft machen, weil wir unser Portfolio regelmäßig evaluieren. Wir wollen nur in Märkten bleiben, die einerseits Wachstumschancenbieten oder auch Veränderungsmöglichkeiten und Potenzial zu Innovationen bieten.

Vice versa kauft Wienerberger kontinuierlich ein …

Das werden Sie in zunehmenden Maße in den nächsten drei bis fünf Jahren sehen: dass Wienerberger ganz gezielt Unternehmen erwirbt, um deren Produkte und Lösungen mit den unseren zu kombinieren und über unsere Vertriebskanäle zu distribuieren. In den vergangenen Jahren haben wir starke Plattformen im Vertrieb und in der Verwaltung realisiert. Wenn wir ein Unternehmen kaufen, dann docken wir dort an: beim Management, beim kompletten Back Office sowie auch im Vertrieb, um diese Produkte mitverkaufen zu können. Das schafft Werte und damit bauen wir unsere Positionen weiter aus. Ein gutes Beispiel dafür ist das „SystemGebäudehülle“.

Wie arbeiten Sie noch mit anderen Unternehmen zusammen?

Wir vertreiben schon heute eine Vielzahl von Produkten anderer Hersteller in unserem Sortiment. Ein Beispiel dafür: Wir haben Ziegel mit Dämmstoffen, die wir „mitnehmen“, wie etwa Steinwolle. Die wird von einem anderen Produzenten hergestellt und in unsere Ziegel verfüllt. Der Hausbauer bekommt das komplette Produkt geliefert – vom Baumeister oder durch einen Händler oder am Dach vom Dachdecker.

Sie wollen Ihr Dach sanieren?

Dann sprechen Sie mit Ihrem Dachdecker, der erhebt die Daten und Sie können dann mit ihm die Oberfläche Ihrer Dachziegel und die Stärke der Dämmung besprechen. Der Dachdecker sucht sich dann einen Partner wie eben Wienerberger, wo er alles aus einer Hand bekommt. Dabei hat er Zugang zu unseren Datenbanken sowohl im technischen wie auch im kommerziellen Bereich.
Der Vorteil für ihn: Er bekommt das ganze Paket und kann es bei seinem Kunden „installieren“.

Kann dieser Ansatz über einzelne Häuser hinausgehen?

In England beispielsweise haben wir über unsere Plattformen bereits einen ganzen Stadtteil mit rund 40 Häusern gemeinsam mit einem sozialen Wohnbauträger geplant. Wir entwickeln dabei auch niedrige Energiehausstandards, die wir dem Kunden zur Verfügung stellen, damit er sie bauen lässt. Soweit sind wir also schon gegangen, d.h. die Planung abzunehmen und dann zu sagen: „Das kannst Du bauen(lassen), wir liefern Dir alle Komponenten, aber Du bist eigenverantwortlich.“

Wie kommen Sie zu solchen Aufträgen?

Die Industrie verändert sich auch in unserem Bereich, das wäre dann also „unsere“ Industrie 4.0. (Lächelt.) Es geht hier um Partnerschaften, früher waren die Unternehmen noch viel stärker voneinander getrennt. Es gibt hier ein Umdenken der ganzen Branche, was sicher dazu führen wird, dass sicherlich neue Partnerschaften entstehen. Dabei werden die Baustoffproduzenten bei den Entscheidungskriterien viel stärkere Bedeutung erlangen.

Sind die „anderen“ Baustoffproduzenten nicht Ihre Konkurrenz?

Die Holzbranche beispielsweise denkt und agiert heute wesentlich integrativer und vertreibt ebenfalls Systemlösungen. Somit müssen wir darauf achten, dass wir über eine klare Argumentation verfügen, wir müssen Vorteile herausarbeiten und natürlich auch finanziell wettbewerbsfähig sein. Es existiert bereits ein sehr komplexer Wettbewerb mit Themen wie „Wo wird Wert geschöpft?“ oder „Wie sind sie sozial integriert und was tun sie für die Local Community?“ etc.

Also „können“ Ziegel auch mit Holz oder Beton?

Ich sage immer: Ziegel ist ein so guter Baustoff, dass er mit allen anderen kombiniert werden kann. Wienerberger kann in allen möglichen Bereichen zusammenarbeiten, mit Holz– ob das Stiegen oder Decken sind –, man kann einen Betonskelettbau mit Ziegeln veredeln etc. Wir müssen hier viel pragmatischer agieren an als früher.

Kann man Wienerberger bereits als Fertigteilproduzent bezeichnen?

Der Konzern produziert inzwischen eine ganze Menge Fertigteile, z.B. in den Hauptmärkten Deutschland und Österreich. Für uns stellt sich allerdings das Problem der Verarbeitungskompetenz von vorgefertigten Elementen. Es klingt immer so, als wäre Vorfertigung ganz einfach, aber dem ist nicht so.
Nehmen Sie als Beispiel eine vorgefertigte Ziegelmauer mit allen technischen Parametern: Diese müssen auch ordentlich ver- bzw. eingebaut werden, um im Gesamtkonzept des Hauses wirksam werden zu können.

Stichwort Innovation: Führt Wienerberger eine eigene F&E-Abteilung?

Bei uns arbeiten tatsächlich ziemlich viele Personen, die sich in ihrer Kernkompetenz mit einzelnen Produkten auseinandersetzen und deshalb durchaus auch forschen und entwickelt.
Weiters gibt es ein Wienerberger Innovationslab mit der Möglichkeit, zeitweise Personen freizustellen, die dann „über den Tellerrand hinausdenken“.

So wie bei Raineo z.B., vermute ich.

Das ist ein interessantes Produkt, weil die Wienerberger-Gruppe – in dem Fall unsere Tochter Pipelife – wiederum im Sinne unserer Anfangsdiskussion an Systeme denkt. Dann werden die Böden bei Regen eben nicht versiegelt, sondern sie werden mit einem Bodenbeleg wie etwa Pflastersteinen auf Beton versehen. Unter der Erde liegen Becken bzw. unsere Stormboxen, das Wasser strömt ein und wird dort gesäubert bzw. Ablagerungen bleiben liegen, und dann geht’s weiter in das Kanalsystem.

Wo wird Raineo nachgefragt?

In den verschiedensten Weltgegenden! Der Einbau ist nicht ganz billig, aber es handelt sich um eine sehr wirksame Möglichkeit, z.B. das öffentliche Kanalsystem vor Überflutungen zu bewahren.

Da passen dann wieder Ihre oben angesprochenen Systemlösungen hinein …

Eben. Den Rohrbereich haben wir neu strukturiert, weil wir im Wohnbau eine starke Präsenz bei Gas, Wasser und Kühlung erreichen wollen. Bei der Infrastruktur kommen wir ebenfalls mit smarten Lösungen, etwa mit Sensoren, mit denen wir messen, was sich gerade im Rohr tut. Der dritte Bereich umfasst Be- und Entwässerungssysteme speziell für die Landwirtschaft, wo wir Lösungen vorantreiben, um klare Verbesserungen zu bewerkstelligen.

Das heißt, Sie haben seit der Komplettübernahme von Pipelife 2012 den Rohre-Markt besonders gepusht?

Ich würde das nicht so formulieren, aber es ist völlig richtig, dass Rohre ein wichtiger industrieller Bestandteil unserer Gruppe sind, den wir weiter ausbauen und wo wir uns stark positionieren wollen.

Und das „Produkt Ziegel“?

Unser „ewiger“ Baustoff wurde in den zwei Dutzend Jahren, in denen ich bereits im Wienerberger-Konzern tätig bin, immer wieder totgesagt. Und das war und ist völlig falsch! Denn Ziegel kommen unverändert in allen Bereichen zum Einsatz und machen im Übrigen unverändert etwa zwei Drittel des Wienerberger-Gesamtumsatzes aus. Im eigentlichen Wandgeschäft erwirtschaften wir etwas weniger als eine Milliarde Euro.

Wie stellt sich Ihr Konzern soziologisch dar?

Wienerberger hat im Rahmen einer klaren Nachhaltigkeitspolitik immer den Anspruch, mit sämtlichen Stakeholdern fair, korrekt und transparent umzugehen – und das wird auch in Zukunft so sein. Als Publikumsgesellschaft sind wir verpflichtet, offen, ehrlich und umfangreich zu kommunizieren. Zum beliebten Stichwort „Diversity“ ist zu sagen, dass es Wienerberger-Standorte gibt, wo Mitarbeiter aus zwölf, 15, ja bis zu 20 Nationen tätig sind.

Wo gibt es Wachstumsmärkte?

Wir haben schon vor Jahren in Indien ein Werk gebaut, entwickelt und bis heute immer wieder vergrößert. Wir sind zuversichtlich, dass wir in Indienweiterwachsen werden ,während China kein Thema für Wienerberger ist.
In den USA performen wir unverändert gut, auf den Brexit sind wir gut vorbereitet. Wienerberger führt in UK mittlerweile 15 Werke, die alle voll aktiv sind, und wir schippern zusätzlich noch einiges an Ziegeln aus den Niederlanden und Belgien nach Großbritannien.

Der Heimatmarkt ist wohl der stärkste?

Nein, vom Umsatz her rangiert Deutschland auf Platz Eins, da kommt der berühmte „Faktor 10“ ins Spiel. Was die Performance betrifft, sind wir mit unserem großen Nachbarn aber noch gar nicht ganz zufrieden, da haben wir im Sinne von Verbesserung und Anpassung noch einen wichtigen Weg vor uns.
Sehr entwicklungsfähig ist Zentralosteuropa mit Tschechien oder der Slowakei oder auch – etwas abgestuft – Polen. In diesen Ländern haben wir ordentliche Wachstumsraten, in Westeuropa nicht ganz so hoch, aber sehr stabil.
Belgien ist ein wichtiger Markt, man kann dort ganz gut verdienen, und das trifft auch auf die Niederlande zu.

Der Wohnbau war zuletzt ein bedeutsamer „Headline-Bringer“.

Vor Jahren habe ich gesagt, dass in Österreich bzw. in Wien zu wenig gebaut wird – und dass man diesbezüglich (Anm.: seitens der Politik) mehr unternehmen muss. Das ist bessergeworden, natürlich hilft die Niedrigzinspolitik, und auch, dass sehr viel Geld im Umlauf ist – das ist gut so!

Was tut Wienerberger beim Thema Recycling?

Jedes heutige Wienerberger-Produkt ist wiederverwertbar. Man kann jeden Ziegel der Produktion hinzufügen, ebenso jedes Rohr und auch jeden Plastikteil. Unser Recyclingfaktor liegt bereits bei etwa 50 Prozent.
Es gibt bei Wienerberger zwei Kreisläufe: den geschlossenen im jeweiligen Werk mit Abfällen aus der Produktion. Und dann kann man von außerhalb der Produktion etwas zuführen. Allerdings gibt es manchmal sogar zu wenig Recycling-Material. Der geschlossene Kreislauf ganz im Sinne von „Cradle-to-Cradle“ existiert also schon heute – oft sind aber Logistik und Wirtschaftlichkeit diesbezüglich ganz wesentliche Themen!

Last but not least: Wie begehen Sie das 200-Jahre-Jubiläum?

Wir verwirklichen im 21. Jahrhundert genau denselben kundenorientierten, nachhaltigen und zukunftsgerichteten Ansatz, den auch die Gründerväter von Wienerberger bereits im 19. Jahrhundert verfolgt haben!

Zur Person
Heimo Scheuch (geb. 15. 10. 1966) ist seit 1996 in der Wienerberger-Gruppe tätig. Seit Mai 2001 agiert er als Vorstandsmitglied, seit August 2009 als Vorstandsvorsitzender.

Auf einen Blick: 6 Produktgruppen an Baustofflösungen
• Building Solutions Wandlösungen: Hightech-Ziegel für angenehmes, gesundes Raumklima
• Dachlösungen: Gestalterisches Element und Schutz in vielen Formen und Farben
• Flächenbefestigungen aus Ton und Beton: Hohe Belastbarkeit und Ästhetik für private Gartenanlagen und öffentliche Plätze
• Fassadenlösungen: Innovatives Sortiment für moderne Architektur und mehrgeschossige Gebäude
• Piping Solutions: Steinzeugrohre und Formstücke: Systemlösungen für die moderne Abwasserentsorgung
• Kunststoffrohre: Systemlösungen von Gebäudeinstallationen und Abwasser bis hin zu Spezialerzeugnissen

Der starke Start zur 200-Jahre-Feier
Wienerberger ist ausgezeichnet in das laufende Geschäftsjahr gestartet. Das Umsatzwachstum von 15 % im Vergleich zum Vorjahr war von guten Marktbedingungen, günstigem Wetter und der Umsetzung der Wachstumsstrategie inkl. Fast Forward Programm getragen. Die gesunden Marktbedingungen wurden durch einen wetterbedingt früheren Start in die Bausaison begünstigt, während das erste Quartal 2018 von Kälte beeinträchtigt war. In den ersten drei Monaten haben sich die im Verlauf des Jahres 2018 eingeleiteten Preisanpassungen positiv ausgewirkt.

Im Gegensatz dazu spiegelten sich die für 2019 erwarteten Auswirkungen inflationsbedingt höherer Kosten noch nicht vollständig in den Ergebnissen wider. Wienerberger ist nach der starken Entwicklung im Q1 zuversichtlich, die EBITDA-Prognose von 560 bis 580 Mio. € für das Gesamtjahr 2019 zu erreichen.

Das Engagement der Mitarbeiter
Wienerberger ist eines der ersten österreichischen Unternehmen, das seinen Mitarbeitern im Rahmen der neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen die Möglichkeit gibt, sich über eine Mitarbeiterbeteiligungs-Privatstiftung zu beteiligen. Im April hat die Gruppe die erste Runde des Mitarbeiterbeteiligungsprogrammes erfolgreich abgeschlossen.
Von den teilnahmeberechtigten Mitarbeitern nutzten rund 28 Prozent die Chance, sich am führenden Anbieter von Bau- und Infrastrukturlösungen zu beteiligen.

Das Investitionsvolumen belief sich auf beinahe zwei Millionen Euro. Infolge der guten Erfahrungen und des hohen Zuspruches plant Wienerberger, auch in anderen Ländern Mitarbeiter-Beteiligungsaktionen aufzusetzen. Die Wienerberger Mitarbeiterbeteiligungs-Privatstiftung hält die Aktien treuhändig für alle an dem Mitarbeiterprogramm teilnehmenden Mitarbeiter und übt die Aktionärs-Stimmrechte gebündelt aus. Die Dividenden fließen den Mitarbeitern zu. Die nächste Angebotsfrist für die Mitarbeiter in Österreich wird 2020 gestartet.

30.5.2019, Autor: Paul Christian Jezek / paul.jezek@lex-press.at