Die Emerging Affluents verändern den Finanzmarkt radikal. Mit einem Jahreseinkommen zwischen 80.000 und 250.000 Euro und einer hohen Kapitalmarktaffinität gehören sie aktuell zu den – „Must-Win“-Kundengruppen für Banken, denn sie sind die Private-Banking-Kunden von morgen.  (pixabay.com)

Emerging Affluents: Jung, erfolgreich und wechselbereit
Die Emerging Affluents sind schon heute ein Ertragsbringer für Banken und andere Anbieter – und werden mit zunehmendem Vermögen nur noch attraktiver. So werden die jährlichen Bankerträge dieser heute noch jungen Kundengruppe in zehn Jahren in Deutschland bei fast 12 Mrd. Euro liegen. Die Emerging Affluents sind das „Must-Win“ Segment – gerade für etablierte Banken, deren Kundenstock zunehmend altert und schrumpft. Erfolgreich bei den Emerging Affluents sind zurzeit allerdings vor allem eine Art von Wettbewerbern: Neo-Banken und -Broker. Mit digitalen, oftmals leicht zugänglichen, verständlichen und preislich attraktiven Angeboten haben sie den Markt in dieser zunehmend finanzgebildeten, investment-affinen und digitalen Kundengruppe neu gestaltet.

Verlorengeben sollten etablierte Filial- und Direktbanken diese Kundengruppe aber keinesfalls. Denn es gibt klare Chancen, die Emerging Affluents mit neuen Angeboten von sich zu überzeugen. Dabei bedarf es Innovation, um Marktlücken zu besetzen. So suchen die Emerging Affluents zum Beispiel den Kontakt zu Anlageberatern, um Investmentthemen zu besprechen – und zwar über Remote-Kanäle und nicht in der Filiale. Also einen Kanal, bei dem etablierte Anbieter ihre Erfahrung nutzen können, um innovative und skalierbare Betreuungsmodelle zu entwickeln. Neo-Banken und -Broker sind hier vergleichsweise im Nachteil, da sie die Fähigkeiten komplett neu aufbauen müssten.

Handeln sollten etablierte Banken aber schnell. Denn während die Emerging Affluents heute noch vergleichsweise jung und wechselbereit sind, werden die Akquisitionskosten dieser Kunden in den kommenden Jahren deutlich steigen. In einer deutschlandweiten Studie zu den Emerging Affluents hat die Boston Consulting Group (BCG) diese Zielgruppe näher untersucht. Die Ergebnisse verdeutlichen die Wettbewerbsverschiebungen und zeigen Bedürfnisse und Verhalten der Emerging Affluents auf. Zusätzlich identifiziert sie zwei besonders interessante Subsegmente der Emerging Affluents und zeigt klar auf, was Banken tun müssen, um diese Kunden für sich zu gewinnen.

Etablierte Anbieter lassen sich die Butter vom Brot nehmen
Die Emerging Affluents sind im Durchschnitt unter 30 Jahre alt, haben ein Jahresgehalt zwischen 80 und 250 Tausend Euro und ein frei verfügbares monatliches Nettoeinkommen von über 3 Tausend Euro. Es ist eine Gruppe von Hochleistungsträgern, die oft noch am Anfang ihrer beruflichen Karriere steht und damit in der Phase des Vermögensaufbaus. Unter ihnen sind Juristen, Ärzte, Bänker und Unternehmensberater.

Besonders wichtig sind für die Emerging Affluents Wertpapierprodukte. Denn ihr Interesse am Kapitalmarkt ist groß. 93 % von ihnen sind am Kapitalmarkt investiert (verglichen mit nur etwa 20 % in der Gesamtbevölkerung) und 91 % von ihnen sagen, dass sie das Thema Kapitalmarkt und Finanzprodukte persönlich interessiert. Erfolgreich in dieser wichtigen Produktkategorie sind allerdings zunehmend nicht-traditionelle Anbieter. Während etablierte Institute wie Filial- und Direktbanken in Summe ~92 % Marktanteile bei den Hauptbankverbindungen haben, schaffen sie es kaum noch, diese Kundenbeziehung in Richtung Wertpapier zu vertiefen. So beträgt der Marktanteil aller Filial- und Direktbanken bei Depotverbindungen im Emerging Affluent Segment nur noch 48 %.

Auf der anderen Seite bauen (Neo-)Broker ihren Marktanteil in dieser wichtigen Kundengruppe stetig weiter aus – und zwar auf mittlerweile über 50 % aller Depotverbindungen der Emerging Affluents. Filial- und Direktbanken haben dagegen in den vergangenen Jahren deutlich Marktanteile verloren. Überhaupt relevant im Wertpapiergeschäft sind damit für die Emerging Affluents nur noch wenige Anbieter. Insgesamt haben heute nur fünf Anbieter einen Marktanteil von knapp 10 % oder mehr. Unter ihnen ist keine Filialbank. Der Erfolg der (Neo-)Broker gegenüber den anderen Anbietern ist dabei von fünf wesentlichen Faktoren getrieben:

  • Digitales Benutzererlebnis: Die Emerging Affluents sind mit dem Internet aufgewachsen und von Grund auf digital. Auch den Wertpapierhandel führen sie daher wie selbstverständlich über digitale Brokerage-Lösungen aus und legen Wert auf eine intuitive Benutzerführung. Den Bedarf für durch und durch digitale Lösungen mit einfacher Bedienbarkeit erfüllen Neo-Banken und (Neo-)Broker zurzeit wie kaum ein anderer Wettbewerber.
  • Pricing vom anderen Stern: Bei (Neo-)Brokern können die Emerging Affluents zu einzigartig günstigen Konditionen Wertpapiere handeln. Die Gebühren per Order betragen bei vielen (Neo-)Brokern zwischen € 0 und € 1 unabhängig vom Ordervolumen – Preise mit denen etablierte Banken aktuell nicht mithalten können. So ergibt eine Analyse zehn großer (Neo-)Broker und digitaler Brokerangebote von etablierten Anbietern ein deutliches Preisgefälle. Durchschnittlich zahlen Kunden von (Neo-)Brokern zum Beispiel für einen Trade in Höhe von € 5.000 eine Gebühr von € 1,97. Bei etablierten Anbietern zahlen Kunden das Sieben- bis Achtfache, nämlich € 15,35. Selbst das günstigste Angebot von etablierten Anbietern ist noch fast doppelt so teuer, wie das teuerste Angebot der (Neo-)Broker.
    Auch bei ETF-Sparplänen betragen die Ausführungskosten bei den „Neos“ in der Regel € 0 – ein Preispunkt, bei dem (fast) alle etablierten Anbieter nicht mitgehen.
  • Das passende Investmentuniversum: Meist ist das Investmentuniversum der (Neo-)Broker (noch) weniger umfangreich als das von etablierten Anbietern – auch die Auswahl an Handelsplätzen und Ordertypen ist beschränkt. Stören tut das die Emerging Affluents allerdings kaum. Dafür bieten die „Neos“ verstärkt auch alternative Assetklassen an, für die sich die Emerging Affluents interessieren (siehe nächstes Kapitel) und die Filialbanken erst langsam einführen. Dazu gehören Kryptowährungen, aber auch die Möglichkeit, in physische Edelmetalle zu investieren (anstelle nur in ETCs).
  • Attraktive Zusatzangebote: Neben den attraktiven Preisen auf das Kernangebot locken (Neo-)Broker außerdem mit attraktiven Zusatzangeboten. So bieten sie im Rahmen einer stetig erweiterten Produktpalette zum Beispiel aktuell 2,75 % Zinsen auf das Verrechnungs- bzw. Girokonto und 1 % Cash-back beim Zahlen mit der Kreditkarte. Etablierte Anbieter können hier zumeist nicht mithalten.
  • Social Media Marketing und Communities: Zu guter Letzt gehen die (Neo-)Broker auch ganz anders und mit viel spitzeren Ansprachen auf ihre Zielkunden zu. Dabei nutzen sie teils aggressive Marketingkampagnen in relevanten Kanälen offline und online – oftmals auf Social Media und in Online-Communities. Ebenso spielen Kooperationen mit angesagten Labels und Themen, die die Emerging Affluents besonders ansprechen, eine wesentliche Rolle in der Kundenansprache.

Wie die Emerging Affluents investieren: ETFs am Zenit, Krypto ist das neue Gold
So legen Emerging Affluents durchschnittlich 57 % und damit mehr als die Hälfte ihres liquiden Vermögens am Kapitalmarkt an – Tendenz stark steigend. Sie investieren dabei am liebsten auf eigene Faust – 87 % aller Emerging Affluent Investoren nutzen hierzu Online-Broker-Angebote. Nur 13 % investieren über klassische Anlageberatung, Vermögensverwaltung oder ein Robo-Advisory Angebot. Aber wer meint, die Emerging Affluents wären größtenteils Zocker, die vornehmlich im Daytrading aktiv sind oder mit Hebelprodukten das schnelle Geld machen wollen, der hat weit gefehlt. Denn passend zu ihren eher langfristigen Zielen investieren fast alle Emerging Affluents in kostengünstige und langfristig angelegte ETFs.

Zu beobachten ist aber auch ein Anstieg der Emerging Affluents, die in „Alternatives“ investieren – wobei sich der Asset Mix in Richtung Private Equity und Krypto verschiebt – und sich von Edelmetallen wie zum Beispiel Gold wegbewegt. Treibende Motivationen sind dabei der Wunsch, für das Alter vorzusorgen (~45 % der Emerging Affluents), der Wunsch einmal unabhängig von einem regelmäßigen Arbeitseinkommen zu sein (~25 %) und sich einen finanziellen Sicherheitspuffer aufzubauen (~15 %).

Natürlich gibt es neben vielen Gemeinsamkeiten der Emerging Affluents auch wesentliche Unterschiede zwischen Subsegmenten dieser Kundengruppe. Insbeson- dere sind zwei spannende Subsegmente mit relevanter Größe zu identifizieren: die Sparplan-Investoren und die Gelegenheits-Trader. Beide haben dabei teils unterschiedliche Bedarfe und Anforderungen an ein passendes Investment-Angebot. Und beide suchen nach einer Lösung, die es so noch nicht im Markt gibt.

Der Sparplan-Investor
Mit fast 60 % sind Sparplan-Investoren das größte Subsegment der Emerging Affluents – und das Segment, das mit einem Wachstum von zehn Prozentpunkten im letzten Jahr am meisten an Größe dazugewonnen hat. Wie auch für die Emerging Affluents insgesamt und auch andere Subsegmente ist oberstes Ziel der Sparplan-Investoren, für das Alter vorzusorgen. Dementsprechend haben diese Kunden ihr Vermögen langfristig und risikoarm angelegt: und zwar in ETFs (~99 % des Subsegments), auf dem Tagesgeld- und Festgeldkonto (80 %); dagegen spielen Einzelaktien (33 %) und alternative Assetklassen wie Krypto (31 %) oder Private Equity (6 %) mit vermeintlich höherem Risiko eine niedrigere Rolle als in anderen Subsegmenten. Im Durchschnitt besparen sie drei bis vier Sparpläne im Monat – deutlich mehr als andere Subsegmente wie zum Beispiel der Gelegenheits-Trader (nur ein bis zwei Sparpläne). Aktiv mit Wertpapieren handeln sie eher in Ausnahmefällen, z.B. wenn sie besondere Gelegenheiten sehen oder viel Liquidität angespart haben. Am wichtigsten sind Sparplan-Investoren günstige Preise (fast 60 % der Befragten) und dass sie ihre Finanzen leicht verwalten können – am liebsten alles in einer App (~40 %).

Der Gelegenheits-Trader
Zweitgrößtes Segment unter den Emerging Affluents sind die Gelegenheits-Trader. Durch das Investieren wollen auch sie für das Alter vorsorgen (32 % des Subsegments). Noch wichtiger ist ihnen aber unabhängig von einem regel- mäßigen Arbeits-Einkommen zu werden (37 %). Dementsprechend investieren sie mehr in Anlageklassen mit vergleichsweise höherer Volatilität. Ähnlich wie den Sparplan-Investoren sind den Gelegenheits-Tradern günstige Preise (über 60 % der Befragten) sowie die einfache Verwaltung ihrer Finanzen in einer App (~47 %) am wichtigsten. Zusätzlich kommt es ihnen darauf an, dass das Trading einfach und komfortabel ist.

Ausblick
Wir erwarten, dass sich der Ertragspool der heutigen Emerging Affluents in Deutschland von ~2,7 Mrd. auf fast 12 Mrd. in 2034 um das Vier- bis Fünffache steigert. Getrieben wird der Mehrertrag durch das bis dahin deutlich gestiegene Vermögen der Emerging Affluents. Viele von ihnen werden bis dahin von Vermögensübertragungen ihrer Eltern profitieren. Das Einkommen der Emerging Affluents wird sich weit überdurchschnittlich steigern und ihr Vermögen erhöhen. Und auch ein Großteil ihres liquiden Vermögens wird sich bei erwartet positiver Kapitalmarktentwicklung weiter potenzieren.

Die wichtigste Produktkategorie, um langfristige und ertragsreiche Kundenbeziehungen mit den Emerging Affluents zu halten, wird weiterhin Wertpapier sein. Denn alle Indikatoren deuten darauf hin, dass sie weiterhin einen Großteil ihres liquiden Vermögens am Kapitalmarkt investieren werden. Die gute Nachricht für etablierte Anbieter ist, dass die Emerging Affluents für sie noch nicht verloren sind – wenn sie schnell handeln. Denn trotz des Abwärtstrends ihrer Anteile an den Depot-Beziehungen zu Emerging Affluents zeigt sich, dass die Kunden bereit sind, für ein passenderes Angebot den Anbieter zu wechseln.

Abgesehen von niedrigen Gebühren und einem hervorragenden digitalen Erlebnis zeigt sich hier, dass sowohl Sparplan-Investoren als auch Gelegenheits-Trader einen ausgeprägten Wunsch haben, bei Bedarf auch mit Menschen bei ihrer Bank interagieren zu können. Das bedeutet für diese Kundengruppen „nach Covid“ nicht etwa das Comeback der Filiale, sondern dass sie sich möglichst bequem von der Bank per (Video)-Telefonie beraten lassen können. Hier haben gerade etablierte Filialbanken einen Vorteil, weil sie oftmals schon über Kompetenzen verfügen, die es jedoch weiterzuentwickeln gilt, um der Kundengruppe gerecht zu werden. Ebenso haben etablierte Anbieter die Chance, dem Bedarf nachzukommen, alle Finanzen in einer App zu bündeln. Denn bislang gibt es im Markt keine „echte“ Banking-App, die es den Kunden ermöglicht, ihre finanzielle Situation ganzheitlich – also inklusive Assets bei anderen Anbietern – zu analysieren und ihr Portfolio entsprechend direkt anzupassen. Dabei haben etablierte Anbieter bei der Einführung und erfolgreichen Umsetzung einer solchen Lösung zwei wesentliche Vorteile: Erstens genießen sie oftmals mehr Kundenvertrauen als (Neo-)Broker und Neo-Banken. Zweitens haben sie bei dem Gehaltskonto als klassischem Ankerprodukt gegenüber (Neo-)Brokern weiterhin (noch) die Nase vorn. Eine Stärke, auf der sie aufbauen können.

15.4.2025, Holger Sachse, Achim Ruckensteiner, André Wenske, Akin Soysal, Jasper Barth, Marc Schalück, Rasmus Mumme und Maxilian Schön; Boston Consulting Group (BCG), www.bcg.com