EY-Analyse Marktkapitalisierung 2022: Neun der zehn teuersten Unternehmen haben ihren Sitz in den USA. Unter den Top 10 befindet sich kein europäisches Unternehmen. (Symbolbild: pixabay.com)

Der Kursrutsch an den Weltbörsen hat Billionenwerte vernichtet: Die Marktkapitalisierung – also der Wert der an der Börse gehandelten Aktien – der 100 teuersten Unternehmen der Welt sank im Verlauf des ersten Halbjahres 2022 um 17 Prozent bzw. 6,1 Billionen US-Dollar. Besonders betroffen waren Technologiekonzerne, deren Börsenwert insgesamt um 28 Prozent einbrach.

Die einzige Branche, die gegen den Trend zulegen konnte, ist der Energiesektor: Die Öl- und Gasunternehmen, die sich unter den Top 100 platzieren konnten, steigerten ihren Börsenwert um 19 Prozent. Der Erdölkonzern Saudi Aramco ist mit einem Börsenwert von 2,3 Billionen US-Dollar das zweitteuerste Unternehmen der Welt – vor Apple.

An der Dominanz der US-Konzerne an den Weltbörsen hat sich insgesamt dennoch wenig geändert. Die Zahl der US-amerikanischen Unternehmen, die sich zur Jahresmitte unter den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt platzieren können, liegt bei 60 – vor einem halben Jahr waren es 61. Im Ranking der wertvollsten Unternehmen der Welt können sich zur Jahresmitte hinter Saudi Aramco und Apple weitere acht US-Konzerne in den Top 10 platzieren: Microsoft, die Google-Muttergesellschaft Alphabet, Amazon, Tesla, Berkshire Hathaway, UnitedHealth, Johnson & Johnson und Meta. Europäische Unternehmen schaffen es derzeit nicht unter die weltweiten Top 10, das wertvollste europäische Unternehmen ist aktuell der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé auf Rang 20.

Das sind Ergebnisse einer Analyse der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY, die die Marktkapitalisierung der am höchsten bewerteten Unternehmen weltweit halbjährlich untersucht. Stichtag für die vorliegende Analyse ist der 30.06.2022 (Börsenschluss). „Die massiven politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen im ersten Halbjahr haben deutliche Spuren an den Weltbörsen hinterlassen“, stellt Gunther Reimoser, Country Managing Partner von EY Österreich, fest. „Die erheblich eingetrübten Konjunkturaussichten, die hohe Inflation, steigende Zinsen und die massiven geopolitischen Spannungen haben zu einer tiefgreifenden Verunsicherung geführt – obwohl viele der Top-Konzerne nach wie vor hohe Gewinne ausweisen. In allen Weltregionen und fast allen Branchen verloren Unternehmen erheblich an Wert. Einzig Öl- und Gasunternehmen konnten von den stark gestiegenen Energiepreisen profitieren und verzeichneten steigende Aktienkurse.“ Reimoser rechnet mit einem sehr schwierigen zweiten Halbjahr: „Die Hiobsbotschaften häufen sich, viele Krisen, die sich teils gegenseitig befeuern, müssen bewältigt werden, die Gefahr einer weltweiten Rezession ist inzwischen real.“

Technologie-Werte unter Druck
Angesichts der Zinswende gerieten zuletzt vor allem hoch bewertete Wachstumsunternehmen unter Druck – die lange favorisierten Technologieunternehmen mussten teils massive Kurseinbrüche hinnehmen, nachdem sie infolge der Pandemie zuvor erhebliche Wertzuwächse verzeichnet hatten. Die Zahl der Tech-Konzerne im Top-100-Ranking ist seit Jahresbeginn von 27 auf 23 gesunken.

Laut Reimoser habe sich vor allem die Erwartungshaltung von Investor:innen geändert: „Zuletzt setzten Investorinnen und Investoren eher auf Profitabilität als auf Wachstum. Das Geld sitzt nicht mehr so locker, die Anforderungen an Zielunternehmen und ihre Finanzkennzahlen steigen.“ Aber Reimoser betont: „Der Digitalisierungsschub, den die Pandemie ausgelöst hat, bleibt ein wichtiger Trend, der die Wirtschaft und die Börsen in den kommenden Jahren entscheidend prägen wird. Technologieunternehmen werden daher weiter eine dominierende Rolle spielen.“

Von den aktuell 23 Technologieunternehmen im Top-100-Ranking haben 17 ihren Hauptsitz in Nordamerika, vier in Asien und nur zwei in Europa. „Europa leidet aus Sicht vieler Investoren nach wie vor unter einem Mangel an vielversprechenden Technologiekonzernen von Weltformat. Die USA geben im IT-Sektor eindeutig den Ton an, viele dieser Tech-Unternehmen sind hochprofitabel und treiben die Digitalisierung der Wirtschaft und aller Lebensbereiche mit Macht voran. Als Gestalter dieses technologischen Wandels spielen allenfalls noch asiatische Konzerne eine Rolle – europäische Konzerne hingegen kaum, und das spiegelt sich im Börsenranking deutlich wider.“

Europa fällt zurück
Vor der Finanzkrise – Ende 2007 – kamen noch 46 der 100 wertvollsten Unternehmen der Welt aus Europa. Inzwischen sind es nur noch 16. „Die Bedeutung Europas an den Weltbörsen schrumpft, der Schwerpunkt verschiebt sich immer weiter in Richtung USA. Auch Chinas Bedeutung ist zuletzt wieder gestiegen“, beobachtet Reimoser. „Gleichzeitig setzt sich der Bedeutungsverlust Europas an den Weltbörsen fort“, so Reimoser. Das sage zwar wenig über die tatsächliche Relevanz europäischer Unternehmen auf den Weltmärkten und ihre wirtschaftliche Stärke aus. Aber die Rahmenbedingungen seien derzeit sehr ungünstig: „Die aktuelle konjunkturelle und politische Lage, gepaart mit einer drohenden Energiekrise, schreckt Investitions-Willige natürlich ab. Fakt ist, dass derzeit internationale Investorinnen und Investoren den Unternehmen aus anderen Regionen vielfach bessere Wachstumsperspektiven und ein besseres Risikoprofil zutrauen“, sagt Reimoser.

Energieunternehmen erleben Renaissance an den Börsen
Bis zuletzt schien es, als sei die große Zeit der Ölmultis an Weltbörsen vorbei. So waren Ende 2011 noch vier Ölkonzerne unter den Top 10 weltweit, das teuerste Unternehmen der Welt war damals Exxon. Seitdem hatten sich die Gewichte massiv zugunsten von Technologie-unternehmen verschoben. Die Zahl der Energiekonzerne, die sich unter den Top 100 platzieren konnten, sank binnen zehn Jahren von 20 (Ende 2011) auf fünf (Ende 2021) – um im ersten Halbjahr dieses Jahres wieder auf neun zu steigen.

„Der Krieg in der Ukraine und die anschließenden Verwerfungen auf den Energiemärkten haben gezeigt, dass die vermeintlich sichere Energieversorgung gerade in Europa tatsächlich auf tönernen Füßen steht“, sagt Reimoser.

3.7.2022, Autor: EY, Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft m.b.H., www.ey.com