Mit diesem Urteil wird erstmals auf Unionsebene judiziert, dass auch ein kumulativer innergemeinschaftlicher Erwerb zu besteuern ist, wenn der Erwerber die UID des Mitgliedstaats des Beginns der Beförderung verwendet. (Symbolbild: pixabay.com)

Der EuGH hat (7.7.2022, C-696/20, Dyrektor Izby Skarbowej w W) judiziert, dass es grundsätzlich zu einem kumulierten innergemeinschaftlichen Erwerb auch im Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung der Gegenstände kommen kann, wenn der Erwerber die UID des Abgangsmitgliedstaats verwendet. Allerdings kommt es zu keinem kumulativen innergemeinschaftlichen Erwerb, wenn schon die innergemeinschaftliche Lieferung steuerpflichtig war und kein Vorsteuerabzug zusteht und kein Betrug oder Missbrauch vorliegt. Andernfalls würde die Umsatzsteuer zweimal zum Kostenfaktor.

Sachverhalt
Das EuGH-Urteil betrifft ursprünglich falsch beurteilte Reihengeschäfte zwischen dem Lieferer („BOP“, der mit seiner polnischen UID auftrat), dem Erwerber („B“, der ebenfalls seine polnische UID verwendete) und jeweils einem in einem anderen EU-Mitgliedstaat umsatzsteuerlich registrierten Abnehmer („C“).

Ursprünglich wurden die Lieferungen von BOP an B als lokale Lieferungen in Polen eingestuft, auf die ein Umsatzsteuersatz von 23% angewandt wurde. Ihre eigenen Lieferungen an die Abnehmer C behandelte B als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Polen. Der Abnehmer C versteuerte im Mitgliedstaat der Beendigung der Beförderung ordnungsgemäß einen innergemeinschaftlichen Erwerb.

Die polnische Steuerbehörde kam allerdings zum Schluss, dass die bewegte Lieferung nicht der zweiten Lieferung, sondern der ersten Lieferung in der Reihe zuzuordnen sei. Folglich habe BOP innergemeinschaftliche Lieferungen in Polen getätigt. Die innergemeinschaftlichen Lieferungen wurden allerdings von der polnischen Steuerbehörde nicht als steuerfrei behandelt, sodass hierfür 23% Umsatzsteuer abzuführen sind. B wurde ein Abzug der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer als Vorsteuer versagt.

Aufgrund der abweichenden Zuordnung der bewegten Lieferung habe B innergemeinschaftliche Erwerbe im Mitgliedstaat der Beendigung der Beförderung getätigt. Weiters habe B nach Ansicht der polnischen Steuerbehörde gem. Art 41 MwSt-SystRL (entspricht inhaltlich Art 3 Abs 8 2. Satz des österreichischen UStG) aufgrund der Verwendung der polnischen UID kumulative innergemeinschaftliche Erwerbe in Polen begründet.

Entscheidung des EuGH
Der EuGH kommt zum Schluss, dass Art 41 der MwSt-SystRL grundsätzlich in Fällen, in denen es aufgrund einer ursprünglich falschen Beurteilung des Reihengeschäfts dazu kommt, dass der Erwerber der Gegenstände die UID des Mitgliedstaats des Beginns der Beförderung statt der UID des Mitgliedstaats der Beendigung der Beförderung verwendet, anwendbar ist. Die ursprünglich falsche Zuordnung der bewegten Lieferung in einer Reihe kann daher grundsätzlich zu einem kumulativen innergemeinschaftlichen Erwerb im Mitgliedstaat, der dem Erwerber die von ihm für den innergemeinschaftlichen Erwerb verwendete UID erteilt hat, führen.

Laut EuGH ist es dabei unerheblich, dass der Mitgliedstaat, der dem Erwerber die von ihm für den innergemeinschaftlichen Erwerb verwendete UID erteilt hat, gleichzeitig der Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung ist, weil auch dieser Fall, vom Wortlaut und von Sinn und Zweck des Art 41 MwSt-SystRL erfasst sei.

Weiters sei der Umstand, dass die Abnehmer (hier der Letzte in der Reihe) die zu Unrecht als innergemeinschaftliche Erwerbe eingestuften Erwerbe im Mitgliedstaat der Beendigung der Beförderung der Gegenstände der Umsatzsteuer unterworfen haben, für die Anwendung des Art 41 MwSt-SystRL unerheblich, da sich die von ihnen entrichtete Umsatzsteuer auf einen gesonderten Umsatz (zweite Lieferung in der Reihe) beziehen.

Allerdings sind bei Auslegung des Art 41 MwSt-SystRL auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu berücksichtigen. Im gegenständlichen Fall wurde auch Umsatzsteuer auf die innergemeinschaftlichen Lieferungen erhoben, während der Käufer B keine Vorsteuern abziehen konnte. Die innergemeinschaftlichen Lieferungen wurden daher nicht steuerfrei behandelt. Laut EuGH ist daher von keiner Gefahr der Steuerumgehung im Mitgliedstaat des Beginns der Beförderung auszugehen, sodass die Besteuerung eines zweiten innergemeinschaftlichen Erwerbs auf Grundlage von Art 41 MwSt-SystRL den mit dieser Bestimmung verfolgten Zielen (Sicherstellung der Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs und Verhinderung einer Doppelbesteuerung) zuwiderläuft.

Die Anwendung des Art 41 MwSt-SystRL (Besteuerung eines kumulativen innergemeinschaftlichen Erwerbs ohne Vorsteuerabzug) entspreche daher im gegenständlichen Fall nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der steuerlichen Neutralität.

Anmerkungen
Mit diesem Urteil wird erstmals auf Unionsebene judiziert, dass auch ein kumulativer innergemeinschaftlicher Erwerb zu besteuern ist, wenn der Erwerber die UID des Mitgliedstaats des Beginns der Beförderung verwendet. Damit wird die bisherige Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung in UStR Rz 3777 bestätigt. Dies wurde bislang in der Literatur häufig angezweifelt und auch das BFG (2.6.2016, RV/2101353/2014) entschied, dass ein kumulativer innergemeinschaftlicher Erwerb im Abgangsmitgliedstaat nicht möglich sei. Allerdings ist die Rechtsprechung des BFG nicht einheitlich. In einem weiteren BFG Judikat (19.5.2021, RV 2100149/2019) kam der BFG zum Schluss, dass ein kumulativer innergemeinschaftlicher Erwerb auch im Abgangsmitgliedstaat möglich sei. Anzumerken ist, dass gegen das Urteil des BFG derzeit eine Revision beim VwGH (Ro 2021/15/0034) anhängig ist.

Der EuGH sagt aber auch, dass eine doppelte Festsetzung der Umsatzsteuer ohne Vorsteuerabzug (auf innergemeinschaftliche Lieferung und kumulativen innergemeinschaftlichen Erwerb) nicht mit dem EU-Mehrwertsteuerrecht vereinbar ist. Allerdings wird in solchen Sachverhalten die Umsatzsteuer einmal zum Kostenfaktor, was nur durch eine nachträgliche Sanierung (in der Regel Registrierung im Bestimmungsmitgliedstaat) geändert werden kann. Auf Sanierungsmöglichkeiten geht der EuGH aber nicht ein.

16.8.2022, Autorin: Sara Ciarnau, PwC Österreich GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, www.pwc.at