OGH schiebt Verzögerungstaktiken in Schiedverfahren einen Riegel vor. (Imagebild: pixabay.com)

Zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten können sich die Streitparteien nicht nur der staatlichen Gerichte bedienen. Es steht ihnen auch die Möglichkeit offen, den Rechtsstreit im Rahmen einer Schiedsvereinbarung einem Schiedsgericht zu übertragen. Dieses besteht – je nach der getroffenen Vereinbarung – nicht aus einem staatlichen Richter, sondern aus einem oder drei Schiedsrichtern. In letzterem Fall wird üblicherweise je ein Schiedsrichter von den Parteien ernannt, wobei die Ernennung des Vorsitzenden ebenfalls einer Einigung durch die Parteien vorbehalten werden kann.

Einer der Vorteile eines Schiedsverfahrens besteht daher darin, sicherstellen zu können, dass Personen über den Rechtsstreit entscheiden, die nicht nur die rechtliche, sondern in erhöhtem Ausmaß auch die fachliche Expertise dazu mitbringen. So liegt es beispielsweise nahe, zur Entscheidung über einen Rechtsstreit aus einer M&A Transaktion Schiedsrichter zu benennen, die sich auch in der Praxis mit M&A Transaktionen und deren Feinheiten befassen.

Daneben liegt ein wesentlicher Vorteil des Schiedsverfahrens darin, dass dieses schneller und effizienter abgewickelt werden kann als staatliche Verfahren, da ein Schiedsverfahren nicht dem rigiden staatlichen Verfahrenskorsett unterliegt. Diese Beschleunigung wird unter anderem dadurch erreicht, dass sich Schiedsinstitutionen wie die International Chamber of Commerce (ICC) oder das Vienna International Arbitral Center (VIAC) aktiv darum bemühen, vereinfachte und beschleunigte Verfahren zu etablieren, die auf eine schnellstmögliche Abwicklung des Verfahrens abzielen.

Im Rahmen dieser beschleunigten Verfahren wird teilweise auf die Durchführung einer Schiedsverhandlung verzichtet. In der Praxis kommt es vor, dass der dem Schiedsverfahren zu Grunde liegende Sachverhalt unstrittig ist, oder der Sachverhalt durch die Vorlage von Dokumenten ausreichend geklärt werden kann. In diesem Fall hätte die Durchführung einer Schiedsverhandlung kaum einen zusätzlichen Wert und wäre lediglich mit einem Zeitverlust verbunden.

Um das zu reflektieren, sieht Art 30 der Schiedsordnung der ICC in der Fassung vom 1.1.2021 ein beschleunigtes Verfahren vor, dessen Details in Anhang VI zur Schiedsordnung geregelt werden. Das beschleunigte Verfahren kommt zur Anwendung, wenn die Parteien dies vereinbaren, oder automatisch, wenn

  • der Streitwert den Betrag von USD 2.000.000 nicht übersteigt und die Schiedsvereinbarung am oder nach dem 1.3.2017 und vor dem 1.1.2021 abgeschlossen wurde; oder
  • der Streitwert den Betrag von USD 3.000.000 nicht übersteigt und die Schiedsvereinbarung am oder nach dem 1.1.2021 abgeschlossen wurde.

Der Schiedsspruch ist dann innerhalb von sechs Monaten nach Durchführung der Case Management Conference zu erlassen. Diese muss spätestens 15 Tage nach der Übergabe des Aktes an das Schiedsgericht stattfinden.

Art 3 Abs 5 des Anhang VI zur ICC Schiedsordnung legt sodann ausdrücklich fest, dass das Schiedsgericht nach Anhörung der Parteien den Fall allein aufgrund der Aktenlage, ohne mündliche Verhandlung und ohne Befragung von Zeugen oder Sachverständigen entscheiden kann. Mit dieser Anordnung ist ein massives Beschleunigungspotential verbunden, das insbesondere in jenen Fällen greift, in denen keine maßgeblichen Sachverhaltsfragen zu klären sind oder der maßgebliche Sachverhalt bereits ausreichend durch die Vorlage von Urkunden festgestellt werden kann.

Wollen die Parteien kein beschleunigtes Verfahren, müssen sie dies bereits in der Schiedsvereinbarung so vereinbaren. Nach Abschluss der Schiedsvereinbarung ist es nur mehr möglich, einen Antrag beim Schiedsgerichtshof der ICC zu stellen. Diesem steht es dann frei, festzustellen, dass ein beschleunigtes Verfahren unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls nicht sachdienlich ist.

Auch Art 45 der Schiedsordnung der VIAC vom 1.7.2021 (Wiener Regeln) sieht ein beschleunigtes Verfahren vor. Gemäß Art 45 Abs 9 der Wiener Regeln ist das Verfahren in diesem Fall so zu führen, dass binnen sechs Monaten nach Übergabe des Falls an das Schiedsgericht ein Endschiedsspruch erlassen werden kann. Um dies sicherzustellen, sieht Art 45 Abs 9.3 der Wiener Regeln vor, dass eine mündliche Verhandlung nur stattzufinden hat, wenn eine Partei dies beantragt oder dies vom Schiedsgericht für erforderlich gehalten wird. Anders als dies beim beschleunigten Verfahren nach der ICC Schiedsordnung der Fall ist, kommt das beschleunigte Verfahren aber nur dann zur Anwendung, wenn sich die Parteien bereits in der Schiedsvereinbarung oder spätestens zum Zeitpunkt der Einbringung der Klagebeantwortung darauf geeinigt haben. Im Rahmen der Wiener Regeln ist es daher erforderlich, sich aktiv um die Anwendung des beschleunigten Verfahrens zu bemühen.

Diese Vereinbarungen sind zulässig, da § 598 ZPO vorsieht, dass, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben, das Schiedsgericht entscheidet, ob mündlich verhandelt oder ob das Verfahren schriftlich durchgeführt werden soll. Haben die Parteien eine mündliche Verhandlung nicht ausgeschlossen, so hat das Schiedsgericht auf Antrag einer Partei eine solche in einem geeigneten Abschnitt des Verfahrens durchzuführen. Daraus ergibt sich, dass vom Erfordernis einer mündlichen Verhandlung einvernehmlich abgegangen werden kann.

Liegen die Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren jedoch nicht vor, ist es eine beliebte Verzögerungstaktik, im Laufe des Verfahrens neue Beweise vorzulegen, die Einvernahme neuer Zeugen zu beantragen oder auch neue Ansprüche geltend zu machen, über die dann jeweils mündlich verhandelt werden soll. Das sich daraus ergebende Potential für Verzögerungen ist enorm. Je nach der Herkunft der Schiedsrichter und deren Auslastung kann es bereits sehr schwer sein, zeitnah einen gemeinsamen Termin zu finden. Diese Termine müssen dann aber auch für die Parteien und etwaige Zeugen möglich sein. Dass der obstruktionswilligen Partei hier ein weites Feld offensteht ist offensichtlich.

Dennoch waren Schiedsrichter bisher sehr vorsichtig damit, Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzuweisen um keine Aufhebung des Schiedsspruchs zu riskieren. Gemäß § 611 Abs 2 Z 2 ZPO kann ein Schiedsspruch nämlich aufgehoben werden, wenn eine Partei ihre Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht geltend machen konnte, oder mit anderen Worten: wenn ihr das rechtliche Gehör entzogen wurde. Diese Position wurde durch eine Entscheidung des OGH vom 30.6.2010 (7 Ob 111/10i) gestützt. In dieser wurde klar ausgesprochen, dass die Nichtbeachtung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Schiedsgericht regelmäßig einen Aufhebungsgrund im Sinn des § 611 Abs 2 Z 2 ZPO darstellt. Diese Entscheidung wurde primär auf die sich aus § 598 ZPO ergebende Pflicht zur Abhaltung einer mündlichen Verhandlung gestützt.

Jüngst hat der OGH diese Position aber relativiert. In seiner Entscheidung vom 15.1.2020 (18 OCg 9/19a) sprach der OGH aus, dass an seiner bisherigen Position grundsätzlich festzuhalten sei. Eine Aufhebung des Schiedsspruchs habe aber dann zu unterbleiben, wenn der Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung zu einem nicht mehr geeigneten Zeitpunkt gestellt wird. Daneben ist der Zweck einer mündlichen Verhandlung zu beachten. Die Verhandlung soll den Parteien die mündliche Darlegung ihrer Standpunkte ermöglichen und gegebenenfalls auch der Aufnahme von Personalbeweisen dienen. Wird keiner dieser Zwecke erfüllt, wäre die Durchführung der Verhandlung ein reiner Formalismus.

In der Entscheidung vom 2.3.2021 (18 OCg 10/19y) hat der OGH diese Prinzipien bestätigt und präzisiert. Die Verhandlungspflicht werde dann nicht verletzt, wenn der Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung verspätet oder offensichtlich mit Behinderungs- oder Verzögerungsabsicht gestellt wird. Im konkreten Fall erforderte auch der Zweck der Verhandlung keine abweichende Beurteilung. Die die Aufhebung des Schiedsspruchs begehrende Partei (Revisionswerberin) hatte ihr Klagebegehren im Laufe der Schiedsverfahrens erweitert und dazu die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Die für die Beurteilung des Anspruchs maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen waren zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits Gegenstand einer mündlichen Verhandlung. Nachdem die Revisionswerberin über Aufforderung des Schiedsgerichts kein substantiiertes Vorbringen zur Zweckmäßigkeit der Verhandlung erstattet hatte, sah das Schiedsgericht zu Recht von einer weiteren mündlichen Verhandlung ab.

Mit dieser Rechtsprechungslinie hat der OGH Österreich als Standort für Schiedsverfahren deutlich gestärkt und Verzögerungstaktiken, die in der (verspäteten) Beantragung inhaltsleerer Verhandlungen bestehen, eine klare Absage erteilt. Mit dem Argumentarium des OGH ist es Schiedsgerichten nun möglich, von mündlichen Verhandlungen abzusehen, deren Abhaltung unzweckmäßig ist, oder deren Abhaltung lediglich in Verzögerungsabsicht beantragt wurde.

17.9.2021 / Autor: Peter Blaschke / Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH / www.fwp.at