Im Bereich von Liefer-, Wertschöpfungs- und Versorgungsketten ist vorausschauender Handlungsbedarf gegeben. Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten bietet zweifellos eine Orientierungshilfe für die vorausplanende Verankerung von Berichts- und Überwachungsrechten und -Pflichten sowie Schutzmechanismen (je nach Position in der Liefer-, Wertschöpfungs- und Versorgungskette) bei Neuverträgen und Anpassungen von bestehenden Verträgen. (Symbnolbild: pixaby.com)

Aktuell stehen Liefer-, Wertschöpfungs- und Versorgungsketten unter enormem Druck, der von immer drastischeren Sanktionen zu wesentlichen Kernliefermärkten ausgeht. Eine Entwicklung, die von vielen als Bremse und von manchen als Katalysator der Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit gesehen wird. Unter dem Eindruck des damals noch druckfrischen deutschen Lieferkettengesetzes mit direkten Auswirkungen auf Österreich haben wir die Idee und Rechtsentwicklung der ESG-Compliance über die gesamte Wertschöpfungs- und Lieferkette vor einem Jahr im Blog „Wer bringt die Ostereier?“ behandelt. Was sind die Neuerungen?

Ende Februar 2022 hat die Europäische Kommission nach einer langen Konsultationsphase einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen auf den Weg gebracht. Mit dieser Richtlinie soll die Einhaltung grundlegender Umwelt- und Menschenrechte nicht nur in Europa, sondern auch in den globalen Lieferketten europäischer Unternehmen sichergestellt und neue Sorgfaltspflichten für Unternehmen verankert werden.

Wer ist betroffen?
Direkt von den (Sorgfalts-)Pflichten des EU-Lieferkettengesetzes erfasst sollen Unternehmen des EU-Binnenmarktes mit mindestens 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mindestens EUR 150 Mio sein. Für die besonders ressourcenintensiven Branchen wie beispielsweise Textil, Landwirtschaft und Bergbau sind im Entwurf die Schwellenwerte mit 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mehr als EUR 40 Mio deutlich herabgesetzt. Die exterritoriale Wirkung des neuen Rahmens wird unter anderem auch dadurch erreicht, dass Unternehmen aus Drittstaaten, die einen entsprechenden Umsatz innerhalb der EU erwirtschaften, ebenfalls erfasst werden sollen. Kleine und mittelständische Unternehmen sind grundsätzlich von den Sorgfaltspflichten des EU-Lieferkettengesetzes ausgenommen. Im Verhältnis zu indirekten Geschäftspartnern kann eine Haftung vermieden werden, indem der direkte Geschäftspartner sich vertraglich verpflichtet, den Code of Conduct und den Präventionsplan des erfassten Unternehmens einzuhalten und ihrerseits wiederum diese Pflichten auf ihre Vertragspartner zu überbinden. Ein kaskadenartiger Effekt ist daher zu erwarten, bei dem Pflichten in der Wertschöpfungskette bis hin zu diesen kleinen und mittelständischen Unternehmen weitergereicht werden.

Was sind die (Sorgfalts-)Pflichten?
Erfasste Unternehmen haben negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt in der Unternehmenspolitik zu berücksichtigen und innerhalb ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu ermitteln, Verletzungen dieser Grundsätze abzustellen oder auf ein Minimum zu reduzieren und die Wirksamkeit ihrer entsprechenden Strategien und Maßnahmen fortlaufend zu kontrollieren. Einer effektiven Kontrolle und Nachvollziehbarkeit der Ereignisse entlang der gesamten Wertschöpfungskette kommt daher mehr denn je besondere Bedeutung zu.

Die Einbeziehung der gesamten Wertschöpfungskette durch das EU-Lieferkettengesetz geht dabei deutlich über die Reichweite bestehender Gesetze hinaus. Andererseits besteht bereits jetzt viel Kritik daran, dass nur „etablierte Geschäftsbeziehungen“ den entsprechenden Sorgfaltspflichten unterliegen sollen, was zu erheblichem Auslegungs- und Interpretationsspielraum und somit auch Schlupflöchern bei der konkreten Anwendung führen würde.

Die konkreten Menschenrechts- und Umweltschutz-Standards, die von den erfassten Unternehmen einzuhalten und in Bezug auf ihre Vorlieferanten zu überprüfen sind, sind im Anhang zum Richtlinienvorschlag enthalten und beziehen beispielsweise die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das Stockholmer Übereinkommen und die ILO-Kernarbeitsnormen ein. Unternehmen des EU-Binnenmarktes mit mindestens 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mindestens EUR 150 Mio müssen darüber hinaus in ihrer Strategie verpflichtend auch das 1,5 °C-Ziel des Übereinkommens von Paris berücksichtigen.

Überwachung und Sanktionen
Die Überwachung der Einhaltung der mit dem EU-Lieferkettengesetz verbundenen Verpflichtungen soll durch die Behörden der einzelnen Mitgliedsstaaten erfolgen. Zusätzlich zu Verwaltungsstrafen, die sich an der Höhe des Unternehmensumsatzes orientieren werden, ist ausdrücklich auch eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen. Personen, die durch die Verletzung der Sorgfaltspflichten geschädigt wurden, sollen Schadenersatzansprüche haben. Insbesondere in diesem Punkt geht das geplante EU-Lieferkettengesetz daher beispielsweise deutlich über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus.

In Bezug auf indirekte Geschäftspartner soll es allerdings Erleichterungen geben, mit der eine Haftung des Unternehmens vermieden werden kann. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der jeweils unmittelbare Geschäftspartner des Unternehmens vertraglich verpflichtet, den Code of Conduct und den Präventionsplan des betroffenen Unternehmens einzuhalten und seinerseits wiederum diese Pflichten auf seine Vertragspartner überbindet. An diesem Mechanismus der „Freizeichnung“ besteht erhebliche Kritik. Faktisch wird es dadurch zu einer deutlichen Ausdehnung des Anwendungsbereichs des EU-Lieferkettengesetzes und einer Verlagerung der Verpflichtungen, bis hin zu kleinen und mittelständischen Zulieferern, kommen.

Nächste Schritte und Handlungsbedarf
Auch wenn mit einem Inkraftreten des EU-Lieferkettengesetzes nicht vor 2026 zu rechnen sein wird, ist aufgrund der hohen Komplexität verbunden mit langfristigen Verträgen und Planungserfordernissen im Bereich von Liefer-, Wertschöpfungs- und Versorgungsketten bereits aktuell vorausschauender Handlungsbedarf gegeben. Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten bietet zweifellos eine Orientierungshilfe für die vorausplanende Verankerung von Berichts- und Überwachungsrechten und -Pflichten sowie Schutzmechanismen (je nach Position in der Liefer-, Wertschöpfungs- und Versorgungskette) bei Neuverträgen und Anpassungen von bestehenden Verträgen.

15.4.2022 / Autoren: Florian Kranebitter, Flora Petri und Eva Wariwoda / Fellner Wratzfeld & Partner
Rechtsanwälte GmbH / www.fwp.at