Firmen- und Privatinsolvenzen steigen wie nie zuvor. (Symbolbild: pixabay.com)

Der Gläubigerschutzverband Creditreform hat die endgültigen Zahlen der aktuellen Insolvenzentwicklung in Österreich für das 1. Halbjahr 2022 erhoben: Insgesamt gab es in Österreich 7.153 Firmen- und Privatinsolvenzen (+56,5%). 5.700 heimische Unternehmen sind laut aktueller Creditreform-Default Study zudem stark ausfallgefährdet. Die s.g. „Corona-Blase“ löst sich auf.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Firmeninsolvenzen haben einen Rekordzuwachs von 121,2%.
  • 20 Insolvenzen pro Werktag.
  • Starke Anstiege in den Branchen Kredit- und Versicherungswesen, Handel und Transportwesen.
  • Privatinsolvenzen steigen um 36,1%.
  • 38 Insolvenzen pro Werktag.
  • Inflation wird den Trend in Richtung 10.000 Privatinsolvenzen p.a. beschleunigen.

Firmeninsolvenzstatistik 1. Halbjahr 2022: 20 Insolvenzverfahren pro Werktag – Firmeninsolvenzen steigen so stark wie nie zuvor um 121%
Der Gläubigerschutzverband Creditreform hat die endgültigen Zahlen bei den Firmeninsolvenzen für das 1. Halbjahr 2022 in Österreich analysiert. Die Firmeninsolvenzen sind so stark wie nie zuvor um 121% auf 2.429 Verfahren angestiegen und erreichen annähernd das Vorkrisen-Niveau des Jahres 2019. Die Zahl der eröffneten Verfahren ist dabei um fast 100% auf 1.428 gestiegen. Die mangels Vermögen abgewiesenen Insolvenzen haben sich gar um 164% auf 1.001 erhöht. Diese Entwicklung sollte alle Gläubiger auf den Plan rufen, da in diesen Fällen nicht einmal ein Kostenvorschuss von 4.000 Euro für die Eröffnung eines Verfahrens geleistet werden kann und es somit zu einem Totalausfall für die Gläubiger kommt.

Gerhard M. Weinhofer, Geschäftsführer des bevorrechteten Gläubigerschutzverbandes Österreichischer Verband Creditreform, sieht zwei Gründe für die Insolvenzwelle: „Einerseits sind die staatlichen Hilfen ausgelaufen und öffentliche Gläubiger (Finanz, GKK) stellen vermehrt Insolvenzanträge, andererseits sind die heimischen Unternehmen nach den Lockdowns von diversen Krisen gleichzeitig betroffen, die auf die Konjunktur drücken. Steigende Preise bei Materialien und Vorprodukten bei gleichzeitiger Unmöglichkeit die Preise eins-zu-eins an den Kunden weiterzugeben sowie steigende Löhne (infolge des Arbeitskräftemangels) führen zu sinkenden oder gar negativen Margen und bedeuten bei steigenden Zinsen dann das endgültige Aus für viele Firmen.“ Die große Mehrheit der Insolvenzen hat Klein- und Kleinstunternehmen betroffen. Die Insolvenzpassiva belaufen sich auf rund 600 Mio. Euro. 7.000 Arbeitsplätze und über 17.300 Gläubiger waren betroffen.

Bundesländervergleich
Den stärksten Zuwachs verzeichneten Niederösterreich (+188,7%), Vorarlberg (+168,4%) und Oberösterreich (+159,4%). Die höchste Insolvenzbetroffenheit herrschte in der Bundeshauptstadt mit 10 Insolvenzen pro 1.000 Unternehmen, die geringste in Vorarlberg mit 3 von 1.000 Unternehmen. Österreichweit mussten rund 7 von 1.000 Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen.

Branchenvergleich: Starke Zuwächse in allen Branchen
Am stärksten stiegen die Insolvenzen im Kredit- und Versicherungswesen mit einem Plus von 185,7%, gefolgt vom Handel (+131%) und dem Transportwesen („Verkehr- und Nachrichtenübermittlung“) mit einem Plus von 128,3%. Die meisten Insolvenzanträge verzeichneten der Handel (432), die Dienstleistungen (416, +114,4%) und das Bauwesen (413, +52,4%). Die größte relative Insolvenzbetroffenheit herrschte im Transportwesen mit fast 20 von 1.000 Branchenunternehmen. Damit wurde erstmals das Bauwesen als die am meisten gefährdete Branche abgelöst.

Conclusio und Ausblick 2022: Insolvenzen erreichen Vor-Pandemie-Niveau
„Zurzeit stürzen zahlreiche Krisen zeitgleich auf die heimischen Unternehmen herein: Ukraine-Krieg, Preissteigerungen, Lieferkettenprobleme, steigende Zinsen, Arbeitskräftemangel u.v.m. Dadurch steigt die Verunsicherung und drückt auf die Konjunkturlage. Viele Klein- und Mittelunternehmen, die durch die Pandemie getragen wurden, haben nun keine Luft mehr und müssen aufgeben“, erklärt Gerhard Weinhofer die aktuelle Situation. Das Ende der Fahnenstange ist aber seiner Meinung nach noch nicht erreicht, da sich die „Corona-Blase“ nur langsam auflöst. Wie Creditreform in seiner zuletzt veröffentlichten Studie mit Univ.-Prof. Walter Schwaiger von der TU Wien aufzeigte, sind zumindest 5.700 Unternehmen ausfallgefährdet. Das entspricht in etwa der Anzahl an „verhinderten“ Insolvenzen während der bei-den letzten Pandemiejahre 2020 und 2021. Dazu können die noch nicht vorhersehbaren Auswirkungen eines Gaslieferstopps und anderer Folgen des Ukraine-Kriegs kommen. Die im Juli von der EZB eingeleitete Zinswende wird zudem zu vermehrten Problemen bei der Kreditaufnahme und Refinanzierung führen. Bleibt nunmehr abzuwarten, wie die Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst verlaufen und ob Österreich in den Strudel der Stagflation (steigende Preise bei mäßiger Konjunktur) gerät. Eine Situation, die unseren wirtschaftspolitischen Erfahrungsschatz in Europa vor neue Herausforderungen stellen wird.

Und noch ein Ausblick zur Privatinsolvenzenstatistik 1. Halbjahr 2022:
Seit Beginn des Jahres steigen die Privatinsolvenzen massiv an. Ein Trend, der durch die Insolvenzrechtsreform vom Juli 2021 eingeleitet wurde und nun durch die Inflation befeuert wird. Damit wird es im laufenden Jahr, wie von Creditreform bereits früher angekündigt, zu einer Rückkehr auf das Vor-Pandemie-Niveau von rund 9.000 Privatinsolvenzen kommen. Dazu Weinhofer: „Österreich steht erst am Beginn einer Zeit steigender Privatinsolvenzen und ein Ende ist nicht in Sicht. Angesichts der Konjunkturaussichten aufgrund der Polykrisen (Lieferkettenprobleme, Ukraine-Krieg, Inflation, Gefahr einer Stagflation, nichtausgestandene Pandemie) wird mit neuen Rekorden bei der Zahlungsunfähigkeit privater Personen in den kommenden Jahren zu rechnen sein.“ Daher empfiehlt Weinhofer: „Unternehmen ist zu besonderer Vorsicht im Geschäftsverkehr zu raten. Bonitätsprüfungen und ein stringentes Betreiben der Forderungen hilft bei der eigenen Liquiditätssicherung und Krisenresistenz.“ In postnormalen Zeiten einer Krisenpermanenz gilt mehr denn je „Trau, schau, wem“.

1.8.2022, Autor: Mag. Gerhartd M. Weinhofer, Geschäftsführer Österreichischer Verband Creditreform, www.creditreform.at